Man muss das sein was man tut, sonst ist es schmerzhaft. Vielleicht ist es zunächst nur etwas unangenehm. Später ist es aber dann gar nicht mehr auszuhalten. Dann Burnout.
Es ist ein Unterschied, ob man Arzt ist oder einfach nur Medizin macht. Den Unterschied haben wir alle schon hundertmal gespürt. Es ist ganz anders, ob mir da jemand gegenüber steht, der das wirklich mit Leib und Seele ist, was er oder sie da tut oder es eben nur macht. Man nennt das heute authentisch sein. Authentische Menschen brennen für das was sie tun, weil sie das sind was sie tun. Die haben auch mehr Spaß, können viel besser mit Rückschlägen umgehen, sind viel produktiver und es kommt besseres dabei raus. Es ist nicht so schwer zu kapieren, dass das Sinn macht. Dazu muss man echt kein Genie sein.
Eigentlich sollte es auch das einfachste der Welt sein authentisch zu sein, aber anscheinend ist es das doch nicht so ganz. Dazu muss man ja erstmal wissen wer man ist. Wenn man das geschafft hat, ist es eigentlich fast egal was man macht, weil wer man ist, definiert warum und wie, mit welcher Haltung man es macht. Das ist ein riesen Unterschied, oder? Frag dich mal, ob du wirklich das bist was du tust? Wenn du nachts wach liegst und morgens in den Spiegel schaust und dich fragst warum du das eigentlich machst, dann lohnt es sich mal ernsthaft darüber nachzudenken. Es gibt tolle Management Seminare darüber. Youtube reicht aber für viele auch.
Keiner weiss mehr wer er/sie ist und warum er/sie tut was er/sie tut. Wenn das bei einem einzelnen schon so ist, wie soll das dann funktionieren, dass ein ganzes Unternehmen wissen soll wer es ist und warum es eigentlich existiert? Kann nicht gehen, ausser das man irgendwas auf ein Blatt Papier schreibt, nach einer Woche Workshop, was aber eigentlich keinen wirklich interessiert. Wenn man das so macht, dann ist Corporate Identity echter Bullshit. So wie ein Haus mit ‘nem tollen Anstrich, aber von innen ist alles kaputt und verrottet. Wenn man draußen vorbei geht, denken alle: wow, tolles Haus, da will ich auch gern drin wohnen. Dann geht man rein und will möglichst schnell wieder raus. So ist das mit der Transformation, die fängt wohl immer bei dir selber an. Bei uns war das auch so.
Unternehmen wie Tesla, Facebook oder Google machen das genau anders herum. Die formulieren ein authentisches Warum und stellen dann einfach nur die Leute ein, die sich damit wirklich identifizieren. Wenn Unternehmen ihr Warum wirklich ehrlich formulieren würden, dann wäre denen schon geholfen. Dann wäre klar, was dich erwartet und es kämen auch nur diejenigen, die sich genau damit identifizieren. Wir haben im Silicon Valley mal einen sehr bekannten Startup Investor gefragt wie er Erfolg definiert. Alle waren gespannt und dachten jetzt kommt ein super tiefgründiges Purpose Statement, aber der sagte nur: “You know what I like most, I like most to make money!”
Das ist authentisch. Und dann arbeiten da auch nur die Leute, die genau das toll finden und der Laden läuft. Wenn das keiner mehr toll findet, dann arbeitet da halt irgendwann auch keiner mehr. Das ist heute die Angst vieler etablierter Unternehmen, dass da irgendwann keiner mehr arbeiten will, weil die gut ausgebildeten Menschen sich mit anderen Dingen identifizieren und es immer mehr neue Unternehmen gibt, die wirklich authentisch und viel anziehender sind.
Deshalb werden in diesen etablierten Unternehmen Purpose Statements formuliert, die dem Zeitgeist konform sind und möglichst alle möglichen Interessengruppen einschließen. Diese Statements sind alles, nur nicht authentisch. Die Leute sind aber nicht auf den Kopf gefallen und durchschauen das. Und deswegen will da dann trotzdem keiner mehr arbeiten, auch wenn das auf dem Papier alles gut klingt. Es reicht vielleicht, um den einen oder anderen Kandidaten in die Irre zu führen, aber früher oder später ist der dann wieder weg.
In jedem Unternehmen gibt es aber den ehrlichen und ungeschrieben Zweck des Unternehmens, der durch die spürbare Haltung der Entscheider und die dadurch geprägte Kultur bestimmt ist. Wenn man sich anschaut, wie ein Unternehmen incentiviert und Leistung misst, dann wird die Haltung und der ehrliche Purpose des Unternehmens klar. Diejenigen, deren persönliche Haltung damit integrierbar ist, die entwickeln sich hervorragend in diesen Unternehmen. Entweder sie sind schon genau das und sind dabei authentisch oder das System zwingt sie dazu eine bestimmte Haltung anzunehmen. Entweder sie passen ihre Identität an oder verstecken sich irgendwo in Nischen, schaffen ihre eigene kleine Insel im Unternehmen oder sie verabschieden sich aus dem System. Deswegen gibt es in manchen Unternehmen oft genauso viele Purpose Statements wie es Führungskräfte gibt.
Die Incentivierung prägt die Identität der Führungskräfte. Wenn Unternehmen primär Profit und Kosteneinsparungen incentivieren, wird genau das die Führungskräfte prägen und einen bestimmten Typus von Führungskraft durch diese Sozialisierung herausbilden bzw. anziehen. Deswegen sind gerade die Leute, die Unternehmen für die Transformation eigentlich brauchen nicht diejenigen, die in solchen Systemen zu Hause und super erfolgreich sind.
Wenn man dann auf der anderen Seite von einem Purpose redet, der Vertrauen, Integrität, Menschen, Beziehungen, Innovation und sonst was gut klingendes in den Vordergrund stellt, passt das eben nicht zusammen. Der Purpose muss incentiviert werden, um die Menschen anzuziehen, die sich damit identifizieren und auch die auszusortieren, die das nicht tun. Wenn Purpose und Incentivierung zusammenpassen, dann hat das Unternehmen eine Zukunft. Wir können noch so viele Digitalprojekte aufsetzen, noch so viele Apps bauen und in Startups investieren. All das bringt uns nicht weiter als bis zu dem Punkt zu wissen, dass es nichts bringt, wenn wir jetzt meinen neue Dinge mit einer alten Haltung tun zu können.
Als wir in 2017 für unser Buch den zweiten Wirtschaftsbuchpreis gewannen, hatten wir unsere eigene berufliche Identität als Autoren und Führungskräfte zu einem Punkt ausgeprägt, an dem wir eine zentrale Aufgabe in der Transformation des Unternehmens für das wir arbeiteten wahrgenommen haben. Transformation induziert Konflikte und unter den Entscheidern des Unternehmens hatten sich zwei Fraktionen herausgebildet: die konservativen Bewahrer und die innovativen Veränderer.
Diese beiden Fraktionen unterschieden sich im wesentlichen durch ihre Haltung. Innovative Veränderung hätte Kulturveränderung und eine mit dem Unternehmenszweck integrierte Incentivierung bedeutet. Das systeminhärente Problem, dass genau die Menschen dann über einen Systemwechsel mehrheitlich entscheiden sollen, die durch dieses System erfolgreich geworden und an die Spitze gekommen sind, war eine Mammutaufgabe. Es war knapp, aber das Immunsystem des Systems drängte 2019 die Protagonisten der Transformationsbewegung zurück. So ist das im Leben.
Wir bekamen neue Vorgesetzte der konservativen Fraktion, die innovativen Stimmen wurden ganz still und uns wurde klar, dass wir mit unserer Haltung eine recht eingeschränkte Perspektive in diesem Unternehmen haben. Jetzt wo die alten Gesetze wieder stabilisiert wurden. Richte dich ein, finde deine Nische, schaffe dir eine Insel oder besser noch: lass dich einfach assimilieren. Das waren keine Alternativen für uns. Wir brauchten einen Neuanfang außerhalb des Unternehmens, in dem wir unserer beruflichen Identität Ausdruck geben konnten. Wo wir das sein können was wir sind. Ein junger Kollege aus unserem Team sagte sogar, dass er sehr von uns enttäuscht gewesen wäre, wenn wir geblieben wären. Und das aus dem eigenen Team. Wunderbar. Es kamen immer mehr solcher Stimmen von verschiedenen Richtungen und Ebenen des Unternehmens. Er ist doch nicht tot, der Transformationsvirus. Er braucht nur ein bisschen mehr Inkubationszeit.
Jeder Anfang beginnt mit einem Abschied. Bei uns war das der Abschied von lieben Kolleg*innen aus unserem Team, die uns alle zu Freund*innen geworden sind. Unser Team fühlte sich immer an wie Familie. Das war uns immer wichtig. Mit Ihnen haben wir diesen ganzen Entscheidungsprozess unser eigenes Ding zu machen offen und transparent diskutiert. Wenn einem Menschen so ans Herz gewachsen sind, ist es gar nicht so einfach sich zu verabschieden und sie auf gewisse Weise alleine zurück zu lassen.
An einem verlängerten Wochenende auf einer Finca auf Mallorca, das wir alle privat veranstalteten, hatten wir Gelegenheit uns voneinander zu verabschieden. Was geblieben ist, ist der Respekt und die Achtung voreinander. Ich glaube gerade weil allen klar war, wie wichtig es ist, dass wir unser eigenes Ding machen. Auch wenn die gemeinsame Geschichte für viele hier erst mal zu Ende ging. Wir bleiben in Kontakt, Social Media macht’s möglich. Unternehmen kommen und gehen, die Beziehungen zu den Menschen aber bleiben. Haltung verbindet.
#Carsten
Logbucheintrag #3, Sonntag 2. Februar 2020